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2024

Freie Republik

Putschisten sind unter uns! Manche schreien zur Ablenkung von sich selbst: Haltet den Putschisten! Hier gibt grad einer wieder ein Interview, dort spottet ein andrer der parlamentarischen Institutionen, dort drüben wird einer selbst zu seiner eigenen Spottgeburt, für die er kein Feuer braucht, den Dreck bringt er mit, wohin er auch geht. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz hat es nicht geklappt, versuchen wir es halt noch einmal und noch einmal. Es ist aber immer Pfusch und füttert den Putsch durch die Diskreditierung der Justiz, solang, bis der Putschismus zur Realität wird: ein Putsch in Raten, die für wir ihren Pfusch zahlen müssen. Kein Feuer ist nötig, um unaufhörlich frischen Schmarrn hinauszuposaunen, in einer seltsam künstlichen Mundart (der Sprecher glaubt, daß ihm dadurch die Leute glauben, daß er glaubt, so reden sie wirklich), die nur Karl Kraus in den Letzten Tagen der Menschheit fassen konnte. Diese Leute wollen also über uns bestimmen, und sie tun es auch. Sie kommen bestimmt wieder, falls sie kurz mal weg mußten, was uns kaum aufgefallen ist, denn sie waren immer schon gleichzeitig da und weg, in vampirischer Existenz, die dieses Land in meinen Augen kennzeichnet. Alles lebt unterirdisch fort. Ich war da mal weg, als ich vielleicht hätte da sein sollen. Und wenn doch, dann kann ich mich nicht erinnern, so tönt es vielstimmig aus den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.

Unsere unselige Geschichte allerdings ist immer da, aber halt unter dem Boden, und solange man in der üblichen Formelhaftigkeit, die sich längst in uns eingebrannt hat, von ihr spricht. Indem man eben nicht von ihr spricht, sondern von etwas, das tot ist, lebt sie in Wirklichkeit fort. Sie sprechen von Allem und Jedem und wären beides gern selbst, vielleicht wären sie gern alles, aber nicht jedermann, den kleinen Mann wollen sie ja beherrschen, unsre Helden, die so flott unterwegs sind beim Rechtsüberholen, daß kaum noch Platz auf dem Pannenstreifen ist.

Wir sollen also die Revolte sein, obwohl Kunst in meinen Augen nichts bestimmen oder verändern kann, in meinem Hirn aber schon. Wir stehen vor dem Nichts, wir sind unsre eigene Republikflucht, aber zum Glück konnte sie verschoben werden, in eine andre Republik, in der wir uns besser auskennen als die allseits bekannten Auskenner. Schräg gegenüber von ihrem neuen Haus bin ich aufgewachsen, das ist nicht viel, aber dort kenn ich mich aus. Und was uns dauernd in die Ohren geblasen wird, das ganze anschwellende Gemecker wegen nichts, das ihnen das Eigentliche ist, so wie sie es sich untereinander in geheimen Mitteilungen zuflüstern, die aber immer wieder, egal was da gewispert wird, völlig ohne Folgen bleiben, dafür aber viel Wind machen: Das alles, was uns da gezeigt wird, mag richtig sein, aber wahr ist es nicht. Und daher bleibt uns das meiste halt weiter verborgen und damit beliebig. Denn je öfter es immer routinierter gesagt wird, sie können es ja schon auswendig, desto weniger wahr ist es und desto äußerlicher wird es auch aufgenommen werden. Es kann unmöglich von uns angenommen werden, nicht in diesem Zustand! Den Zustand wenigstens können wir vielleicht verändern, wenn wir alles umackern und was Neues in den Boden schmeißen und daraus neue Begriffe, nicht Abgriffe, zubereiten, die dann so heiß gegessen werden sollten, wie sie gekocht wurden. Die Küche übernehmen wir jetzt. Ich kann zwar nicht kochen, aber ich schau mir gern an, was rauskommt, und dann möchte auch ich ein Teil davon sein, ohne vom Feuer, das ich vorsichtig umkreise, selbst verzehrt zu werden.


Ungekürzte Fassung der Rede zur Eröffnung der Wiener Festwochen 2024 (Wien, 17.05.2024)